Latente Gefahr: Altmunition in Nord- und Ostsee
Schon seit Jahrzehnten vergammelt Altmunition aus dem letzten Weltkrieg auf dem Meeresboden von Nord- und Ostsee – aber erst im September 2024 wurde begonnen, Munitionsreste in der Ostsee im größeren Umfang zu bergen. Ein Teil der nach dem Krieg verklappten Munition war scharf und kann potenziell auch heute noch zünden. Kritisch ist aber auch, dass aus der Kriegsmunition Sprengstoffreste ins Meerwasser gelangen und die Meeresumwelt gefährden, da sie giftig sind und beispielsweise von Fischen oder Muscheln aufgenommen werden können. Durch die Bergung der Kriegsmunition sollen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Meeresumwelt und negative Auswirkungen auf Tourismus, Schifffahrt und den Bau von Windparks verhindert werden.
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Diverse Kriegsmunition am Meeresgrund (Copyright Foto: GEOMAR, www.geomar.de)
Wie kamen die Munitionsrest in Nord- und Ostsee?
Am Ende des zweiten Weltkriegs wurden große Mengen Munition, teilweise küstennah, in Nord- und Ostsee versenkt. Vor Kriegsende wollte die Wehrmacht verhindern, dass Munition in die Hände der Alliierten fällt, und versenkte große Mengen an Munitionsvorräten, die meistens noch unscharf waren. Nach Kriegsende waren es dann die Alliierten, die im Zuge der Entmilitarisierung Deutschlands sichergestellte scharfe Munition vor den Küsten verklappten. Kleine Mengen an Kriegsmunition sind auch Überreste von Verminungsaktionen und Bomben- oder Torpedo-Blindgänger aus Kampfhandlungen in den Küstengebieten.
Allein in der Lübecker Bucht sollen so etwa 50.000 Tonnen Munition verklappt worden sein – beispielsweise Wasserbomben, Granaten oder Patronen in Kisten. Insgesamt gehen Experten von 1,3 Millionen Tonnen Altmunition in der Nordsee und 300.000 Tonnen in der Ostsee aus. Ein weiteres Problem sind chemische Kampfstoffe, die im Meer abgelagert wurden. Diese werden auf etwa 170.000 Tonnen in der Nordsee und bis zu 65.000 Tonnen in der Ostsee geschätzt. Von den Kampfstoffen liegen aber nur relativ kleine Mengen in küstennahen Gebieten.
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Kartenausschnitt aus der AmuCad-Datenbank; die Punkte sind munitionsbelastete Flächen in Nord- und Ostsee. Quelle: https://legacy.amucad.org/map
Manchmal bekommen auch Strandspaziergänger die Folgen der Munitionsverklappung zu spüren. Unter den versenkten Munitionsresten befinden sich auch Brandbomben, die weißen Phosphor enthalten. Wenn die Bombenhülle verrostet und leck wird, kann der Phosphor ins Wasser gelangen und als kleine Klumpen an den Strand gespült werden. Da die bräunlich-durchsichtigen Klumpen wie Bernstein aussehen, werden sie gerne gesammelt. Das kann aber schlimme Folgen haben, da trockener Phosphor leicht in Brand geraten und zu schweren Verletzungen führen kann link einfügen zu: (Textbox „Phosphor am Strand“).
Warum ist die Altmunition im Meer ein Problem?
Seit dem Kriegsende liegt die Altmunition im Meer und die Metallhülsen und sind eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit, in erster Linie für Fischer, die Munitionsreste in ihren Schleppnetzen finden. Über Jahrzehnte wurden und werden die Munitionsverpackungen langsam vom Salzwasser aufgelöst. Dadurch gelangen Munitionsreste ins Meerwasser. Der wichtigste Sprengstoff war Trinitrotoluol (TNT), aus dem im Meerwasser viele verschiedene Abbauprodukte entstehen. Einige der entstehenden Stoffe sind auch krebserzeugend. In der Nähe von abgelagerter Altmunition findet man im Meerwasser hohe Konzentrationen dieser Stoffe. Die TNT-Abbauprodukte werden von Meerestieren aufgenommen und können diese gefährden. In Fischen, die in der Nähe von Altmunition am Meeresboden von Nord- und Ostsee gefangen wurden, konnten hohe Konzentrationen der sprengstofftypischen Verbindungen nachgewiesen werden. Die TNT-Abbauprodukte wurden in der Gallenflüssigkeit gefunden, da die Fische sie über die Galle aus dem Körper ausscheiden. Es wurden aber keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere festgestellt.
Aber die Sprengstoffreste können auch Menschen gefährden, wenn diese Muscheln oder Fische, die mit Sprengstoffresten belastet sind, mit der Nahrung aufnehmen. Zum Glück sind die aktuell nachgewiesenen Belastungen von Muscheln oder Fischfilets nur gering. Aber es besteht die Gefahr, dass die zunehmend leck werdenden Munitionsverpackungen immer mehr Sprengstoffreste freisetzen. Vor diesem Hintergrund wurde von der Bundesregierung und den Küsten-Bundesländern ein Programm beschlossen, um die Altmunition zu bergen, wenn notwendig zu entschärfen und dann sicher zu beseitigen.
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Mit Sprengstoff gefüllte Weltkriegs-Seemine (Copyright Foto: GEOMAR, www.geomar.de)
Wie kriegt man die Altmunition wieder aus den Meeren?
Im September 2024 wurde erstmals in der Ostsee versenkte Kriegsmunition geborgen, um Menschen und Umwelt vor den schädlichen Sprengstoffverbindungen zu schützen. Dafür wurde das „Sofortprogramms Munitionsaltlasten“ aufgelegt, für das zunächst 100 Millionen Euro aus Bundesmitteln zur Verfügung stehen. Zur Vorbereitung der Bergungsaktion wurden elektromagnetische Kartierungen der Altmunitionsablagerungen durchgeführt, um auch vom Sediment überdeckte Munition am Meeresboden erkennen zu können. Im Rahmen eines Pilotprojekts in der Lübecker Bucht sollen diese Munitionsaltlasten nun möglichst vollständig und umweltschonend geborgen werden.
Aber diese Aktion ist erst der Anfang: es ist ein Test im Rahmen des „Sofortprogramms Munitionsräumung“ des Bundesumweltministerium BMUV. In den nächsten Jahren soll eine schwimmende Industrieanlage entwickelt werden, um die Munitionsaltlasten sicher zu bergen und umweltgerecht zu entsorgen. Inzwischen wurde auch das neue Kompetenzzentrum MUNIMAR für die Bergung von Munitionsaltlasten gegründet. Daran beteiligt sind unter anderem die Landesregierung Schleswig-Holstein und das Forschungszentrum GEOMAR. Die tatsächliche Umsetzung einer Räumung aller Munitionsablagerungen in Nord- und Ostsee in den den nächsten Jahren wird Kosten in Milliardenhöhe verursachen.
Die Verklappung von Munitionsresten in Meeresgebieten ist aber nicht nur ein Problem Deutschlands oder der europäischen Nachbarn. Weltweit wurden und werden während oder nach Kriegen Munitionsreste auf diese Weise abgelagert. Insofern sind die Ergebnisse des Pilotprojekts in der Lübecker Bucht auch international von großer Bedeutung.
Quellen
AmuCad, Datenbank und Karte zu Altmunition im Meer, 2024, https://www.amucad.org
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), 18.09.2024 https://www.bmuv.de/pressemitteilung/erstmals-kriegsmunition-vorsorglich-geborgen-in-der-luebecker-bucht
Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, 2021 https://www.bundestag.de/resource/blob/824144/22fb2f1df191d74fbaba72b32c8c32a0/WD-8-003-21-pdf-data.pdf
GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Munition im Meer, 2024 https://www.geomar.de/entdecken/munition-im-meer
Kammann et al., Environmental Sciences Europe (2024) 36:116: Explosives leaking from dumped munition contaminate fish from German coastal waters: a reason for chronic effects? https://doi.org/10.1186/s12302-024-00942-5
UMID Nr. 1/2024: Schadstoffe aus rostender Weltkriegsmunition im Meer – Eine Gefahr für Menschen und Meeresökosysteme? https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/publikationen/artikel_1_dnk_0.pdf
World Ocean Review 7 (2021), Kapitel 6, S.220-221 https://worldoceanreview.com/wp-content/downloads/wor7/WOR7_de_Kapitel_6.pdf
Textbox (aus dem Text oben verlinken): Phosphor am Strand – eine Gefahr für Bernstein-Sammler
In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte, dass an den Küsten, insbesondere an Ostsee-Stränden, weißer Phosphor gefunden wurde. Der weiße Phosphor wurde als Brandmittel in Brandbomben eingesetzt, die mit anderer Munition nach dem 2. Weltkrieg in Nord- und Ostsee versenkt wurden. Mit der Zeit verrosten die Hüllen der Bomben und der Phosphor gelangt ins Meerwasser. Aber nicht nur an der Küstenstränden, auch am Steinhuder Meer wurde „falscher Bernstein“ gefunden, da anscheinend Brandbomben auch in diesen Binnensee gelangt sind.
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Weißer Phosphor Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:White_P.jpg, from: Dnn87, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
Wenn der weiße Phosphor als Klumpen an den Strand gespült wird, kann die durchsichtige, gelbliche oder bräunliche Masse aussehen wie Bernstein. Dieser wird gerne von Strandwandernden gesammelt. Das kann gefährlich sein: wenn weißer Phosphor trocknet und sich auf etwa 30 Grad erwärmt, kann er sich an der Luft von selbst entzünden. Es gibt Berichte von Kindern, bei denen sich der als Bernstein angesehene weiße Phosphor in der Hosentasche durch die Körperwärme entzündet hat. Das kann zu schweren Brandwunden führen, da die Verbrennungstemperatur von weißem Phosphor bei über 1000 Grad liegt. Brennender weißer Phosphor lässt sich auch nur schwer löschen. Er kann mit Wasser oder Sand gelöscht werden (Kontakt zur Luft unterbinden) und sollte nach dem Löschen feucht gehalten werden, um eine weitere Zündung zu vermeiden. Um solche Brände zu verhindern, sollten mögliche Bernstein-Funde zunächst in Metallbehältern transportiert werden. Wenn der Fund dann tatsächlich weißer Phosphor ist, kann man die Metalldose auf den Boden stellen, wenn der Phosphor in Brand gerät, und ihn dann ausbrennen lassen.
Quelle: Gewerkschaft der Polizei, 2016 https://www.polizei-dein-partner.de/themen/umwelt/detailansicht-umwelt/artikel/gefaehrlicher-phosphor-an-deutschen-straenden.html; Naturpark Steinhuder Meer, 2020 https://www.naturpark-steinhuder-meer.de/Service/Pressemeldungen/2020/Vorsicht-vor-falschem-Bernstein