Kunststoffabfälle schädigen Nahrungsnetze in unseren Meeren
Auch wenn es zaghafte Ansätze der deutschen und europäischen Umweltpolitik gibt, Plastikmüll zu verringern – beispielsweise mit der Einwegkunststoff-Richtlinie oder der Angebotspflicht von Mehrwegverpackungen für Restaurants -, gelangen trotzdem noch immer große Mengen an Plastikteilen aller Größen aus Deutschland ins Meer und erhöhen die schon vorhandenen Mengen an Kunststoffresten. Einen großen Anteil daran haben gerade auch Plastikprodukte, die viele täglich nutzen: Getränkeflaschen und Verschlusskappen (Fotos), Snack-Verpackungen oder Plastiktüten. Einmal ins Meer gelangt, belasten die Plastikabfälle und ihre Abbauprodukte Organismen unterschiedlicher Arten und dadurch auch die marinen Nahrungsnetze sowie die gesamten Meeresökosysteme. In einer aktuellen globalen Auswertung belegen zwei Forscherinnen der australischen Flinders University in einer Übersichtsstudie die Gefährdung von Meeresökosystemen durch Kunststoffabfälle auf Basis vorliegender Forschungsergebnisse aus verschiedenen Regionen.
Weltweit wurden im Jahr 2021 über 390 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert (Thermo- und Duroplaste, ohne Elastomere). Je nach Anwendung bleiben die Produkte unterschiedlich lange in Gebrauch – von nur kurz verwendeten Gemüsebeuteln aus dem Supermarkt bis zu jahrzehntelang genutzten PVC-Fenstern in Gebäuden – bevor sie recycelt oder als Restabfall durch Verbrennung oder Deponierung „beseitigt“ werden.
Leider landen im Alltag aber viele Kunststoffabfälle nicht in Abfalltonnen, sondern werden achtlos weggeworfen und gelangen so in Böden oder Gewässer. Weltweit die meisten unsachgemäß entsorgten Kunststoffabfälle landen schließlich in den Meeren, aus den Küstenregionen oder durch Einträge über die Flüsse – neben den direkten Einträgen wie Resten von Fischereinetzen oder verlorener Ladung von Schiffen. Einmal ins Meer gelangt, schwimmen sie je nach Größe und Eigenschaften der Kunststoffart an der Wasseroberfläche, schweben unter Wasser oder sinken auf den Meeresboden. Durch die Gezeiten, Strömungen und Stürme werden sie an Küsten und Stränden abgelagert oder sammeln sich in bestimmten Regionen in den Ozeanen.
Große Kunststoffteile (Makroplastik) werden im Meer langfristig durch Einwirkung von Licht, mechanischen Beanspruchungen, im Wasser vorhandenen oxidierenden Verbindungen und teilweise auch durch Mikroorganismen in kleinere Partikel umgewandelt. Ausmaß und Geschwindigkeit der Zerkleinerung hängt von den Umweltbedingungen und auch von der Kunststoffart ab. Große wie kleine Plastikteile können von Meerestieren aufgenommen werden, beispielsweise durch Säugetiere, Fische oder Filtrierer wie Muscheln, da sich die Größen der Kunststoffteilchen mit denen der Nahrung der Tiere überschneiden. Meerestiere können auch direkt durch größere Plastikteile wie Plastiktüten gefährdet werden, in die sie sich verheddern oder die sie strangulieren können. Größere Kunststoffteile verbleiben nach der Aufnahme häufig im Magen-Darm-Trakt der Tiere, da sie nicht ausgeschieden werden können. Inwieweit Mikro- oder Nanoplastik auch in den Körper und Organe von Meerestieren übergehen kann, ist derzeit einer der wichtigen Forschungsfragen.
Die meisten Kunststoffe in Produkten enthalten chemische Zusatzstoffe (Additive) wie Flammschutzmittel, Lichtstabilisatoren oder Weichmacher. Je kleiner die Kunststoffteilchen sind, desto größer ist die Oberfläche pro Gewichtseinheit und umso mehr dieser Additive können in das umgebende Wasser abgegeben werden – oder in den Magen und Darm der Tiere, die sie aufgenommen haben.
Wie sich die Plastikteilchen im marinen Nahrungsnetz auswirken, hängt nach Analyse der australischen Wissenschaftlerinnen weitgehend von vier Faktoren ab: Größe und Form der Plastikteile, Kunststoffart sowie von den chemischen Additiven. Je nach ihrer Größe werden die Plastikteile als Makro-, Mikro oder Nanoplastik klassifiziert. Häufig vorkommende Formen sind Kügelchen, Schaumpartikel, Fasern oder unregelmäßige Fragmente, die durch den Abbau größer Plastikteile entstehen. Vielfach verwendete Kunststoffarten sind:
Kunststoffart | Abkürzung | häufig verwendet für (Beispiele) |
Polyethylenterephthalat | PET | Getränkeflaschen |
Polystyrol | PS | Hartschaum-Verpackungsmaterial |
Polyethylen | PE | Folien, Plastiktüten |
Polypropylen | PP | Lebensmittelverpackungen |
Polyamid | PA | Material für Textilfasern |
Polyvinylchlorid | PVC | Ummantelungen von Elektrokabeln |
Die Auswertung der australischen Forscherinnen zeigt weiterhin, dass die Anwesenheit von Makro- und Mikroplastik Organismen im Meer unterschiedlich beeinflusst. Mikroorganismen wie Bakterien profitieren teilweise, weil die Kunststoffoberflächen der Plastikteilchen zusätzlichen Lebensraum bieten. Außerdem können sie angehaftet an den schwimmenden oder schwebenden Plastikteilen mit Meeresströmungen weiter transportiert werden. In Laborversuchen mit Phytoplankton-Organismen zeigte sich, dass negative Effekte durch Plastikteile – beispielsweise verringertes Wachstum – neben den Faktoren Partikelgröße, Form, Kunststoffart und Additiven auch von der Anzahl der Partikel und der Dauer der Anwesenheit der Partikel im Lebensraum der Organismen abhängt. Es wurde aber auch beobachtet, dass einige Arten empfindlicher auf die Anwesenheit von Plastikpartikeln reagieren als andere. Bei Wasserpflanzen wirkt sich insbesondere die Anwesenheit von großen Plastikteilen negativ aus, da sie zu Beschattung und damit zu verringerter Photosynthese und geringerem Wachstum führen können. Der Einfluss auf die untersuchten negativen Effekte war bei kleineren Organismen umso größer, je mehr Plastik eingesetzt wurde und je kleiner die Kunststoffpartikel waren. Für das Zooplankton und filtrierende Arten wie Muscheln ist insbesondere Mikroplastik kritisch, da die Teilchen ähnlich groß wie die Nahrung der Organismen sind und nach Aufnahme teilweise nicht ausgeschieden werden können. Dadurch nehmen die Organismen weniger Nahrung auf und das Wachstum, aber auch die Fortpflanzungsfähigkeit können sich verringern. Fische oder Meeressäuger können diese mit Mikroplastik belasteten Organismen fressen und so das in ihnen angesammelte Plastik aufnehmen und anreichern, zusätzlich zu den Plastikteilen, die sie eventuell direkt aufnehmen, da sie ihrer Nahrung ähneln (siehe Schema Nahrungsnetzbeziehungen). Bei Untersuchungen an Fischen und Delfinen wurden häufig faserförmiges Mikroplastik im Magen-Darm-Trakt der Tiere gefunden.
In einer Reihe von Modellversuchen konnte auch die potentielle Anreicherung im Nahrungsnetz bestätigt werden, beispielsweise von Muscheln zu Krabben oder Fischen. Es sind aber weitere Untersuchungen erforderlich, um die Auswirkungen der Anreicherung von Kunststoffen im marinen Nahrungsnetz besser zu verstehen. Bislang liegen die meisten Ergebnisse solcher Untersuchungen für Laborexperimente vor, bei denen höhere Mikroplastikbelastungen eingesetzt wurden als im Meer vorhanden sind. Trotzdem sind die belegten Anreicherungen besorgniserregend und sollten dazu führen, die Plastikmüll-Belastungen zu reduzieren oder zunächst zumindest nicht weiter zu erhöhen, um diese potentielle Gefährdung der Ökosysteme zu verringern.
Um die Meeresökosysteme zu schützen, sind entschiedene Maßnahmen gegen die Vermüllung unserer Meere mit Kunststoffabfällen dringend erforderlich. Diese fordert auch die international vereinbarten „Agenda 2030“ der Vereinten Nationen (UN). Eines der 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) ist das Ziel 14, das lautet: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen. Das erste Unterziel lautet „Bis 2025 alle Arten der Meeresverschmutzung, insbesondere durch vom Lande ausgehende Tätigkeiten und namentlich Meeresmüll und Nährstoffbelastung, verhüten und erheblich verringern“. Bislang ist nicht zu erkennen, dass die Belastung der Meeresökosysteme sich verringert oder gar abnimmt, so dass die Anstrengungen gesteigert werden müssen, um das Ziel zu erreichen.
Neben staatlichen und internationalen Maßnahmen ist aber auch das eigene Verhalten wichtig. Hier einige Ideen für den Alltag, um Kunststoffabfälle zu reduzieren:
- Verpackungen schon beim Kauf vermeiden oder reduzieren
- wiederverwendbare Einkaufsbeutel statt Plastiktüten nutzen
- Einmalprodukte aus Kunststoff durch Produkte aus nachhaltigeren Rohstoffen ersetzen
- bei Abholung von Essen aus Restaurants Pfand-Mehrwegverpackungen nutzen
- Zigarettenstummel mit Filtern nicht in die Umwelt werfen
- Trinkwasser aus der Leitung statt abgefülltes Wasser aus Flaschen nutzen
- Getränke in Mehrweg- statt Einwegflaschen kaufen
- Abfälle trennen und korrekt entsorgen
- bei Ausflügen in die Natur keinen Müll hinterlassen
Verwendete Quellen
Tuuri EM, Leterme SC (2023). How plastic debris and associated chemicals impact the marine food web: A review. Environmental Pollution 321:121156 https://t1p.de/h7nv3
United Nations Environment Programme (2021). From Pollution to Solution: A global assessment of marine litter and plastic pollution. Nairobi https://t1p.de/uyd29
Plastics Europe AISBL, Brüssel, Belgien (2022) https://t1p.de/s6b5x
Europäische Kommission (2018). Reducing Marine Litter: Action on single use plastics and fishing gear. Commission Staff Working Document – Impact Assessment. SWD(2018) 254 final. Brüssel, Belgien https://t1p.de/6w8th