25 Jahre Pallas – Teil 2
Die „PALLAS“ – Havarie im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer
Verölte Vögel – Was nun?
Im ersten Teil dieses dreiteiligen Berichtes haben wir über die Havarie der „PALLAS“ und ihre Auswirkungen gesprochen. Eine der sichtbarsten Auswirkungen waren die zahlreichen verölten Vögel, die besonders auf den Inseln Föhr und Amrum, aber auch an der Festlandküste tot oder lebendig aufgefunden wurden.
Auf Föhr wurde eine Sammelstelle für verölte aber lebend aufgefundene Tiere ins Leben gerufen. Tierärztin Janine Bahr vom 1998 frisch gegründeten „Tierhuus-Insel Föhr e.V.“ und Dieter Risse, ein naturverbundener Insulaner waren federführend beim Einfangen der Tiere, der Aufnahme und der Erstversorgung. Weitere Freiwillige von der Insel, sowie aus verschiedenen Gegenden in ganz Deutschland gesellten sich dazu und wollten helfen. Auch Tier- und Umweltschutzgruppierungen kamen nach Föhr und boten ihre Hilfe an.
Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland sehr wenig Expertise in Sachen „Rehabilitation verölter Vögel“ und aufgrund dessen wusste man weder von Seiten der Tierschützer noch von Seiten der Behörden, was man eigentlich genau machen sollte, um Leid zu minimieren oder der Sache irgendwie Herr zu werden. Daher wurden von oberster Stelle diverseste Maßnahmen angeordnet und durchgeführt. Man ließ die Tierschützer mehr oder wenig gewähren, man sendete Zivildienstleistende (die gab es 1998 noch) zum Töten der Tiere aus und Jäger schossen verölte Vögel. Es herrschte also ein bunter Mix aller möglichen Handlungen.
Man muss sich vorstellen, dass es 1998 noch keine Smartphones gab, Informationen im Internet waren spärlich gesät und wir hielten untereinander mit Funkgeräten Kontakt auf der Insel. Das einzige Mobiltelefon (ein riesiger Knochen mit dicker Antenne) funktionierte meist nicht und dennoch gab es eine dicke Abschlussrechnung, an die wir lieber nicht mehr zurückdenken möchten…
Die Fotos in diesem Bericht sehen so aus, wie sie eben aussehen. Zeitzeugnisse. Digitalkameras Fehlanzeige. In die Fotoapparate legte man Filme mit 24 oder 36 Bildern ein (die älteren Leser werden sich erinnern) von denen mindestens 2/3 verwackelt, unscharf oder unter-/überbelichtet waren. Gute Fotos machten zu der Zeit nur Leute, die sich damit auskannten und mit guten und teuren Kameras ausgerüstet waren.
Da sämtliche Tierschützer mit der Situation überfordert waren, wurde versucht, Hilfe über das Internet zu bekommen oder irgendwie anders an Spezialisten zu geraten. In den Niederlanden gab es bereits Leute, die eine gewisse Erfahrung im Umgang mit verölten Vögeln hatten und so kam es, dass die Seehundstation Pieterburen aus Nordholland Personal schickte. Auch zwei weitere niederländische Organisationen unterstützten mit Helfern. Aus England gab es später noch Unterstützung einer Organisation namens „Earthkind“ und aus Frankreich kam der Ornithologe Jean Pierre Jacques mit einer von ihm erfundenen „Vogelwaschmaschine“ auf die Insel Föhr. Diese bereitete dann auch technischen Probleme und stellte uns vor weitere Herausforderungen. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis das System lief und dann stellte sich heraus, dass die korpulenten, recht großen Eiderenten nicht in den Korb für die Waschprozedur passten. Durch einen geschickten Metallbauer aus Flensburg wurde dann ein neuer, größerer Korb gebaut, all das dauerte natürlich auch seine Zeit.
Die nächste Überlegung war: Was passiert nach dem Waschen? Die Tiere müssen sich nach dem Waschen in geeigneten Pools oder Becken mit Filteranlage oder permanentem Überlauf aufhalten, um ihre 100%ige Wasserdichtigkeit zurückzuerlangen. Und dann? Auswildern auf Föhr? Geht auch nicht, denn dort ist noch immer die Gefahr einer neuerlichen Verölung gegeben. Alles in Allem war eine komplette Rehabilitationsphase auf Föhr nicht möglich und so wurden die Tiere transportiert und auf verschiedene Wildtiereinrichtungen verteilt. Zumindest die Erstversorgung, die tiermedizinische Betreuung und die Stabilisierung konnte auf der Insel bewerkstelligt werden.
Weitere Hilfen in Form von Behandlungsprotokollen, Stellungnahmen etc. wurden uns per Fax oder E-Mail übermittelt. Besonders die Protokolle des Oiled Wildlife Care Network (OWCN) aus den USA haben uns die Augen geöffnet und aufgezeigt, wie komplex eine Rehabilitation ist.
Dazu kam das ewige „hin und her“ der Behörden und sonstiger Kritiker und Schreibtisch-Täter. Es hieß: „Das bringt doch eh alles nichts“ oder „das ist zu teuer“ oder „die sterben hinterher sowieso“…
In den Bildern finden sich einige Stellungnahmen von internationalen Wildtier-Experten:
Wir alle haben damals vieles falsch gemacht, das steht außer Frage. Aber wir haben auch eine Menge gelernt.
Um sich überhaupt um die Tiere kümmern zu können, mussten geeignete Räumlichkeiten gefunden und eingerichtet werden. Auf Föhr konnten das Feuerwehr-Gerätehaus und Teile des Klärwerkes genutzt werden. Auf Amrum standen uns im DLRG-Gebäude Räume zur Verfügung, um die aufgefundenen Tiere zu versorgen. Die Unterbringung der Tiere wurde in Boxen mit Kleintier-Einstreu bewerkstelligt, dass uns eine große deutsche Tierfuttermittel-Kette kostenfrei zur Verfügung stellte. Kleintier-Einstreu ist eine suboptimale Lösung, aber adäquate Netzbodenboxen zum Halten der Tiere gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Der Aufwand und Stress in den Tages-/ und Nachtschichten, den alle an der Rettungsaktion beteiligten Personen durchlebten war in den Wochen auf Föhr und später auch auf Amrum immens. Tagsüber wurden die Tiere versorgt, die Stationen auf-/ und ausgebaut und in der Nacht zogen die Suchteams los, um weitere Tiere bei Eiseskälte einzufangen. Dabei musste auf die Gezeiten geachtet werden und es wurde jede Nacht später, bis man losgehen konnte. Wir wurden müder und müder von Tag zu Tag…
Die „PALLAS“ war unser allererster Kontakt mit dieser Thematik und sollte nicht der Letzte sein… Trotz widriger Umstände stellte der „PALLAS“-Einsatz einen Wendepunkt in der Rehabilitation hier in Deutschland dar. Was seitdem geschehen ist, wie sich aus den verschiedenen Gruppierungen und Einzelpersonen schlussendlich der Dachverband PRO Bird e.V. gegründet hat, auf welchen Einsätzen wir seitdem gearbeitet haben und vieles weitere mehr, wird im spannenden dritten Teil dieses Rückblickes in wenigen Tagen durchleuchtet.